Sprung aus dem Spiegel – Opas Horror Hautnah

30.10.2009 - 15:01 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Der Student von Prag (1913)
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Der Student von Prag (1913)
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Hitchcock tat es, Lynch, Fincher und Cronenberg ebenso, Kurasawa und Fassbinder auch: Alle drehten ihren Doppelgängerfilm. Das Motiv sorgte schon 1913 für Schauer beim Publikum und ist der Einstieg ins phantastische Genre.

Aufgepasst: Das ist jetzt eine wahre Geschichte aus dem August 1913. Zuschauer strömten in Berlin und anderswo in die rauchigen Ladenkinos und besseren Etablisments, um sich den Film Der Student von Prag von und mit Paul Wegener anzusehen. Für viele wurde er ein einscheidendes Erlebnis und hat ihre Sicht auf das neue Medium Film geprägt. Als sich nämlich auf der Leinwand Balduin, der Prager Student, im Spiegel betrachtet und sein Spiegelbild aus der gläsernen Fläche heraustritt, um selbständig zu werden … da schrien die Zuschauer auf, bedeckten sich die Augen, konnten es nicht fassen. Wie ein zeitgenössischer Beobachter berichtete, trauten sich viele nicht, auf die Leinwand zu schauen, weil sie dort eine Gestalt sahen, die leibhaftig zweifach vorhanden war. Ein Unding! Wie ist das möglich? Heißt es nicht in den alten Weisheiten: Wer seinen Doppelgänger sieht, sieht den Tod?

Anderswo, wie ein Beobachter aus Leipzig berichtete, starrten die Zuschauer gebannt auf die Leinwand. Sie waren derart eingenommen von der Geschichte über Balduin und seinem Doppelgänger, dass sie den Pianisten lautstark um Ruhe baten. Der hatte eigens für den Film eine gefällig Kinomusik komponiert. Auf die hörte aber niemand und so bemühte er sich für seine Musik um Aufmerksamkeit … ohne Erfolg, die laute Aufruhr im Kinosaal löste sich mit beunruhigender Stille ab. Revolution in Leipzig. Vor den Kinotüren in Hamburg soll es zu Aufruhr gekommen sein, weil Hunderten von Zuschauern der Einlass verwehrt wurde. Die Räume waren übervoll. Aus London, Paris, Moskau und Yokohama vermeldete die Produktionsfirma Bioscop AG ähnliche Publikumsresonanzen. Der Student von Prag war der Blockbuster seiner Zeit und erhob den Film erstmals zur Kunst.

Doppelgänger übten schon immer eine besondere Faszination aus, besitzen heute noch eine spezielle Anziehungskraft. Romane, Novellen und Erzählungen von E.T.A. Hoffmann, Adalbert von Chamisso, Edgar Allan Poe oder Oscar Wilde und Vladimir Nabokow haben dabei ein Motiv geprägt, dessen Unheimlichkeit bis zum heutigen Tag fort existiert. Damals hießen sie Schauerromane und wurden als Bestseller ihrer Zeit verschlungen. Genauso wie in der Literatur verkörpert der Doppelgänger im Film in seinen unterschiedlichen Existenzweisen – etwa als Zwilling, Spiegelbild, als Schatten oder Phantom – die Wünsche, Sehnsüchte und Phantasien, die Zweifel und Ängste des Ichs. Besonders in Deutschland wurde das Motiv in den 1910er, 1920er und 1930er Jahren nicht mehr losgelassen; Persönlichkeitsspaltung spielte hier eine besondere Rolle. Zu Der Student von Prag von 1913 gab es gleich zwei Remakes. Conrad Veidt erschoß sich im expressionistischen Stil 1926 vor dem Spiegel, Mitte der 1930er Jahre wurde Adolf Wohlbrück von den Nationalsozialisten als Balduin in Szene gesetzt.

Aus dem doppelten Vorhandenseins der Figur entstand die Faszination und das Entsetzen der Zuschauer von 1913. Doppelbelichtung machte es überhaupt erst möglich, dass der Doppelgänger auf der Leinwand erschien, sich Körperteile selbständig machten oder Traumvisionen sichtbar wurden. So war es kein Wunder, dass der Doppelgänger mit seiner Persönlichkeitsspaltung zum Phänomen wurde und Hunderte von Film-Schauermärchen in der Anfangszeit des Kinos entstanden: Die Hände von Conrad Veidt machten sich selbständig (Orlacs Hände), der abgeschnittene Schatten von Paul Wegener eroberten die Frauen (Der verlorene Schatten) oder ein Schlafwandler wurde zum Mörder (Das Cabinet des Dr. Caligari).

Heute würden uns der einfache Doppelgänger und die Schauerfiguren der Stummfilmzeit nicht mehr in den Kinosessel drücken, aber ohne sie wären ein Beverly Mantle / Elliot Mantle aus Die Unzertrennlichen, ein Tyler Durden und sein Neben-Ich in Fight Club oder ein Fred Madson / Pete Danton aus Lost Highway gar nicht denkbar.

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