Radikaler Kriegsfilm verwandelt legendäre Sci-Fi-Action mit Arnold Schwarzenegger in Neon-Albtraum

20.02.2023 - 18:00 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
Disco Boy
Films Grand Huit
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Der Dienst in der Fremdenlegion wird zur Wiedergeburt im hypnotischen Berlinale-Beitrag Disco Boy mit dem unverwechselbaren Franz Rogowski.

Wenn Arnold Schwarzenegger in Predator ins Wärmebild-Fadenkreuz des interstellaren Jägers wandert, ist von seinen stählernen Muskeln, der Bewaffnung und dem Bild des unbesiegbaren Filmhelden Schwarzenegger nichts mehr übrig. Übrig bleibt seine Lebensenergie, das Blut, das durch seine Adern rauscht. Zarte 37 Grad, die mit einem genau gesetzten Hieb zweier ausfahrbarer Klingen im kalten Dschungel verstreut werden können.

Es war ein simples und umso effektiveres Bild für eine Supermacht, die sich nach der Niederlage im Vietnamkrieg in die Entwicklung von Ländern wie Guatemala, Nicaragua und El Salvador einmischte – wenn nötig mit Gewalt. Der Predator drehte den Spieß um.

Was in dem Sci-Fi-Action-Film von John McTiernan aus dem Jahr 1987 noch als Startschuss für ein Action-Feuerwerk diente, wird im Berlinale-Beitrag Disco Boy in einen neuen Kontext gesetzt, bis der Film in einem hypnotischen Traum versinkt. Der teils trance-artige Mix aus Kriegsfilm und Franz-Rogowski-Vergötterung (ein ertragreiches Arthouse-Genre für sich) tänzelt stylisch durchs Fegefeuer der Gewalt.

Der Dienst in der Fremdenlegion verspricht in Disco Boy ein neues Leben

Rogowski (Transit, Große Freiheit) spielt den Weißrussen Aleksei, der mit einem Freund über Schleichwege nach Frankreich reisen will. Sie sehnen sich nach dem Eintritt in die französische Fremdenlegion. Die verspricht eine neue Identität, eine Aufenthaltsgenehmigung und irgendwann vielleicht einen Pass.

Die Reise zur Wiedergeburt beginnt jedoch mit dem Tod. Bei der Überquerung der Oder verschwindet Alekseis Freund in den Fluten. In Frankreich angekommen, wird Aleksei zu Alex, einem vorbildhaften Rekruten, der körperlichen Anstrengungen mit einer Zen-artigen Ruhe begegnet. Dann ruft der Einsatz in Nigeria.

Disco Boy

Wie in Predator sollen auch in Disco Boy Geiseln aus den Händen einer Rebellen-Gruppe befreit werden. Deren Anführer Jomo (Morr N'Diaye) steht dem Identitätswandler Alex diametral entgegen. Während der eine aus prekären Umständen flieht, um ein neues Leben anzufangen, verteidigt Jomo sein Dorf gegen Erdölfirmen, die die umliegenden Mangrovensümpfe als vergiftete Einöde zurücklassen. Aleksei lässt Namen und Herkunft zurück, Jomo wurzelt tief in den Riten seiner Vorfahren. Im nächtlichen Dschungel treffen sie aufeinander, was im etwas frühen Höhepunkt des Films gipfelt.

Was der trance-artige Kriegsfilm mit der Sci-Fi-Action in Predator zu tun hat

Die Wärmebildkamera beobachtet die beiden Körper im Dunkel. Wie Schwarzenegger und seine Truppe in Predator werden sie dadurch ihres Aussehens und ihrer Uniformen beraubt. Bei McTiernans Klassiker resultierte diese Perspektive in pragmatischen Fragen des Überlebens (wie kann man unsichtbar werden?). In Disco Boy dient sie als Mittel zur Überhöhung. Als rote und orange Flächen vor dunklem Grund verschwimmen Aleksei und Jomo nämlich im gegenseitigen Ringen ums Überleben. Es ist ein Bild wuchtiger Abstraktion, das den Menschen die Individualität nimmt und sie auf ihre Gemeinsamkeit reduziert: Leben.

Regie-Debütant Giacomo Abbruzzese fährt in der Folge ein unvergessliches Bild verstörender Schönheit und Zerstörung nach dem anderen auf, um relativ einfache Wahrheiten zu formulieren. Franz Rogowski, der an einem Seil hoch über der von Öl und Feuer verzehrten Dschungellandschaft davon geflogen wird. Rogowski, der im Alkoholrausch vom Geist seines Gegners heimgesucht wird. Rogowski! Rogowski! Rogowski!

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Der deutsche Schauspieler und Darling des internationalen Autorenfilms zwischen Terrence Malick und Christian Petzold dient als vielschichtige Reflexionsfläche für die visuellen Ideen seines Regisseurs und der Kamerafrau Hélène Louvart (Pina, Niemals Selten Manchmal Immer).

Aleksei bzw. Alex ist dem Wesen nach weniger eine Figur als die Idee einer Figur, trotzdem bleibt seine Gefühlswelt in dem dialogarmen Film greifbar. Rogowski rennt, schwimmt, robbt, schießt und tanzt sich durch einen Film und reißt ihn so an sich. Andere Schauspielende würden von den an Nicolas Winding Refn (Only God Forgives) gemahnenden Neon-Welten übermannt, Rogowski floriert in ihren. Mit dem Debütanten Morr N'Diaye steht ihm ein charismatischer Gegenpart zur Seite, dessen Figur vom Drehbuch mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.

Aber das lässt sich über einige Aspekte von Disco Boy sagen, der in der radikalen Einfachheit mancher Bilder überwältigt, aber vor allem als das in Erinnerung bleibt: Ein Film spektakulärer Momente, die zu einer allzu simplen Auflösung führen. Neben Disco Boy wirkt Predator wie eine differenzierte Abhandlung über den US-amerikanischen Imperialismus.

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