Kannibalen & MMA-Fighter geben sich die Ehre

02.06.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Unbeatable
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Asiatisches Kino findet in Deutschland vorwiegend auf DVD oder bei Festivals statt. Wir waren beim dritten Hong Kong Film Festival in Berlin, wo moderne Klassiker und jüngere Hits ebenso gezeigt wurden wie rare TV-Produktionen.

Der vor sich hin brütende Nick Cheung begegnet dem Besucher auf dem Festivalplakat. Als abgehalfterter Ex-Boxer trainiert er im Eröffnungsfilm Unbeatable einen jungen Amateur für ein Mixed Martial Arts-Turnier. Ein Sportlerdrama par excellence, mit den motivierendsten Trainingsmontagen der jüngeren Filmgeschichte (Reifen! Betonklötze! Noch größere Reifen!), gibt Dante Lams Zuschauerliebling das Motto für das dritte Hong Kong Film Festival in Berlin vor: unschlagbar vielleicht nicht im Ring, aber im Herzen.

The Way We Fight
Denn im Gegensatz zu den meisten Genrekollegen arbeitet die Geschichte dreier Underdogs in Unbeatable nicht auf den großen Sieg als Belohnung für die gebrochenen Nasen hin. Aufrappeln nach der Niederlage, lautet die Devise dieses liebevollen MMA-Films, in dem sogar eine ausgekugelte Schulter als Chance begriffen wird. Dante Lam hat sich in den vergangenen Jahren mit rasanten Streifen wie Beast Stalker und The Stool Pigeon in die erste Liga der Hongkonger Regisseure geschoben, Actionfilme so hyperemotional, dass John Woo Tränenbäche übers Gesicht stürzen müssten. Inszenatorisch erinnern sie an Großstadtscharmützel wie in Heat und der Bourne-Reihe. Daneben wirkt Unbeatable intim, reduziert, regelrecht entspannt.

Was Unbeatable für die Mixed Martial Arts ist, bringt The Way We Dance für urbane Tanzwütige auf den Asphalt. Mit einer Story, die auf den ersten (und zweiten) Blick auf einen Step Up-Klon schließen lässt, drehte Adam Wong auf Basis eines minimalen Budgets einen der Überraschungserfolge des vergangenen Jahres. Tai Chi Hip Hop wird in diesem Film kreiert, der von Johnnie Tos Stammkameramann Cheng Siu-keung in den gewohnten weiten Bildkompositionen eingefangen wird, in denen die Tänzer aus den tiefen Schatten als bunte Farbsprengsel herausstechen. Hilft in dem einen Film der ausgekugelte Arm, spornt in The Way We Dance übrigens ein gebrochenes Bein zu ungewöhnlichen Choreographien an.

Heulen, bis die Explosion kommt
Andere Filme waren den Genretraditionen des Hongkong-Kinos auffälliger verpflichtet. Benny Chans Actionthriller The White Storm hätte mit seinen Cantopop-Balladen, den unentbehrlichen Flashbacks und der dreifachen Männerliebe am Rande des Nervenzusammenbruchs auch in den 80ern gedreht werden können. Ein Fest für Nostalgiker und Freunde von Szenen, in denen eine Figur mehrfach angeschossen wird, von einer Klippe stürzt, um dann von hungrigen Krokodilen verspeist zu werden. Sicher ist sicher.

Johnnie Tos Blind Detective gemahnte ebenfalls an die guten alten Zeiten des Hongkong-Kinos, aber eher jene, die es seltener in europäische Gefilde schaffen. Man stelle sich die schockierten Kritiker in Cannes vor, denen 2013 – der fein kalibrierte Drug War in unmittelbarer Erinnerung – diese Kannibalen-RomCom vorgesetzt wurde! Irrsinnige Comedy-Einlagen wechseln sich in der Krimi-Romanze mit schaurigen Gewalttaten ab. Tonal inconsistency mag das in der englischsprachigen Kritik heißen. In Blind Detective sind die Gefühlsschwankungen, die aufgekratzte Neckerei des RomCom-Götterpaares Andy Lau und Sammi Cheng, das Gerenne, Geschlage und Geschrei Prinzip. Im Mittelpunkt des mit mehreren virtuos inszenierten, klassischen Krimi-Sequenzen gesegneten Films steht ein gebrochenes Teenie-Herz. Wer eine Ahnung von den in Europa und den USA dauerignorierten romantischen Komödien Tos sowie den Frühwerken wie Justice, My Foot! oder Lucky Encounter bekommen will, liegt bei Blind Detective genau richtig.

Ein spärlich besuchter Höhepunkt des Festivals war das Screening zweier Episoden der langlebigen TV-Serie ICAC Investigators. Die Mitarbeiter der Independent Commission Against Corruption tauschen Schusswaffen gegen ihre zackig nach vorn gestreckten Ausweise, weshalb zumindest ich nach dem Screening jedem entgegenkommenden Fußgänger mit einem unerschütterlichen “ICAC!” Hallo sagen wollte. Zehn Jahre liegen zwischen den beiden Episoden von Dante Lam und Adam Wong. Roger Garcia, Direktor des Hong Kong International Film Festivals (HKIFF), kündigte sie mit dem Hinweis an, die auf wahren Begebenheiten basierende Krimiserie verfolge seit fast vierzig Jahren die sozialen Streitfälle der Metropole. Ein bisschen so wie Law & Order – oder Tatort, nur mit fesselnderen Parallelmontagen, weniger Toten und geringeren Budgets.

Aufrappeln hat seinen Preis
Als populärer bei den Zuschauern stellte sich erwartungsgemäß die Infernal Affairs-Trilogie heraus, die glücklicherweise in 35mm-Kopien gezeigt wurde. Unbeatable gab sich Hongkong auch damals 2002, als Infernal Affairs – Die achte Hölle inmitten der SARS-Krise in die Kinos kam und Rekorde brach. Ein Hoffnungsschimmer nicht nur für die schrumpfende Industrie stellte der auf Hit getrimmte Hit mit seinen unzähligen Stars dar. Zwei völlig verschiedene Sequels folgten, das eine ein Epos in der Tradition von Der Pate, das andere ein paranoides Psychogramm.

Aber Infernal Affairs, das ließ sich auch beim Hong Kong Film Festival in Berlin nicht verdrängen, stammt aus einer vergangenen Ära. Stolz verwies Carrie Lam, stellvertretende Regierungschefin der Sonderverwaltungszone, in ihrer Eröffnungsrede auf die enger werdenden Beziehungen der Hongkonger und festlandchinesischen Filmindustrien. Wer allerdings seine Infernal Affairs-DVD in den Player schiebt, der findet ein den Film zerstörendes, alternatives Ende für die Kinoauswertung in der Volksrepublik. Dort dürfen Bösewichte nämlich mit ihren Taten nicht davonkommen. Ein geflügeltes Wort besagt deshalb, koproduzierte Hongkong-Blockbuster bekämen heutzutage sowieso nur das Mainland-Ende. Ganz ohne Alternative.


Das dritte Hong Kong Film Festival wurde vom Wirtschafts- und Handelsbüro Hongkong (HKETO) in Zusammenarbeit mit dem Kino Arsenal organisiert und fand vom 21. bis zum 31. Mai in Berlin statt. Im Juni kommt das Hong Kong Film Festival nach Hamburg ins metropoliskino.

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