Eine kurze Geschichte des Superheldenbooms - Teil 3

23.06.2014 - 08:50 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
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Blade gab den Steigbügelhalter, die X-Men drehten die ersten Runden auf dem Kino-Rasen. Erst Sam Raimis Spider-Man nahm alle Hürden und läutete den Siegesgalopp des Superheldenfilms ein, der bis zum übermächtigen Marvel Cinematic Universe und grauenhaften Pferdemetaphern führen sollte.

Spider-Man macht Spaß. Zugegeben, die Äuglein Tobey Maguires werden im Verlauf der drei Filme mehrmals überschwemmt. Im Großen und Ganzen aber ist Sam Raimis Trilogie trotz diverser Superheldenidentitätskrisen und romantischer Zerwürfnisse eine vor Optimismus übersprudelnde Heldenreise durch ein unbeugsames New York. Wenn also Peter Parker MJ hinterher schwärmt, zum ersten Mal seine Kräfte ausprobiert, eine Hauswand hochkrabbelt und über Dächer springt, Spinnenfäden verschießt (“Go, web, go!”) und unsanft gegen Beton klatscht, formuliert Raimi die Essenz seines Superhelden. Damit hob sich Spider-Man 2002 sowohl von der 90er Jahre-Tradition als auch den knapp zwei Jahre vorher auf die Leinwand preschenden X-Men ab. Wenn wir die Filme des Marvel Cinematic Universe betrachten, bietet sich Spider-Man als einflussreichster Vertreter in der Trias des Superheldenbooms an.

Mehr: Teil 1: Blade und seine Erben
Mehr: Teil 2: Die X-Men und der dunkle Ritter

Der lange Weg aus der Produktionshölle fiel bei Spider-Man noch beeindruckender aus als im Fall der Mutanten. Die heiße Phase der Realisation trat ein, als MGM und Columbia sich 1999 über ihre konkurrierenden Ansprüche auf die Spinne einigten. Marvel hatte die Filmlizenz in den 80er Jahren dreimal an unabhängige Produktionsfirmen verkauft, die später bankrott gingen. Durch diese Auflösungen gingen die Spider-Man-Rechte an Sony, Muttergesellschaft von Columbia, während MGM darauf bestand, die Rechte durch den Bankrott einer anderen Firma erhalten zu haben. Nach einem acht Jahre dauernden Rechtsstreit setzte sich Columbia, zu diesem Zeitpunkt ohne große Franchise, durch. Etwa zur gleichen Zeit ließ das Studio alle Ansprüche auf das damals ebenfalls umstrittene Bond-Franchise (James Bond 007 – Sag niemals nie) von MGM fallen.

“Das symbolisiert, dass Marvel sich im Umbruch befindet”, meinte Eric Ellenbogen, Chief Executive des finanziell gebeutelten Comic-Hauses (L.A. Times, 1999). Er sollte Recht behalten. Zügig ging es an die Adaption eines der populärsten Superhelden überhaupt. Regisseure wie Chris Columbus, Roland Emmerich, Tim Burton und David Fincher standen auf der Wunschliste. Die Vision des letzteren, keine Origin Story, sondern die düstere Geschichte von Gwen Stacys Tod, setzte sich nicht durch. Stattdessen wurde Anfang 2000 Sam Raimi für den Regieposten engagiert. Steht auf dem finalen Skript zu Spider-Man nur der Name David Koepp, hatten mindestens drei weitere Autoren Anteil an der Entstehung des arachnophilen Abenteuers. So geht die Idee der organischen Spinnennetzdrüsen in Spideys Armen auf einen Skriptentwurf von James Cameron aus dem Jahr 1991 zurück. Mit einem Teaser, fast ein Jahr vor Kinostart veröffentlicht, startete die Werbekampagne für den 139 Millionen-Film.

Nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 mussten einige Szenen aus Spider-Man digital retuschiert werden. Ab dem 03. Mai 2002 schwang sich die menschliche Spinne schließlich durch die Kinosäle und bot eine ebenso eskapistische wie optimistische Filmalternative zum sehr realen Trauma jüngster US-Vergangenheit. Peter Parker, “einer von uns”, kämpft gegen das Verbrechen in einem betont heimelig wirkenden New York. Wenn es mal hart auf hart kommt, dann stehen die Bürger der Stadt hinter ihm, wie in der beflügelnden Zugsequenz in Spider-Man 2. Mit seinem weltweiten Einspielergebnis von 821,6 Millionen Dollar kam Sam Raimis Superheldenabenteuer bei einem knapp doppelt so hohen Budget auf fast das Dreifache der Einnahmen von Bryan Singers X-Men. Im superheldenskeptischen Deutschland wurden für die Mutanten 2,3 Millionen Tickets gelöst, der Spinnen-Nerd kam sogar auf 5,2 Millionen.

Dass Spider-Man ein Vier-Quadranten-Blockbuster war, der in den Mainstream der amerikanischen Zuschauerschaft eindrang, zeigte auch seine Beständigkeit. Anstatt wie die X-Men im zweiten Wochenende einzubrechen, verlor die Spinne nur 38 Prozent des Umsatzes. 56 Tage hielt sich der Blockbuster in den Top 10 der US-Box Office (X-Men: 35). Spider-Man 2 und Spider-Man 3 kamen auf knapp 50 Tage. Damit gleichen die Zahlen jenen der späteren MCU-Flaggschiffe Iron Man und Marvel’s The Avengers (jeweils 56 Tage), wohingegen dem Franchise-Reboot Amazing Spider-Man 1 & 2 die X-Men-Ergebnisse näher liegen (35 und 39 Tage).

Wie Tim Burtons Batman war Spider-Man in den Anfängen ein von einer Autorenhandschrift (und Danny Elfmans Musik) geprägtes Franchise, nur eben familienfreundlicher. Mit Slapstick und karikaturesker Verfremdung, empathischer Integration der Gegner und einem Sinn für das romantische Drama um Peter Parker und Mary Jane Watson erzählte Raimis Spider-Man-Trilogie die Geschichte eines Nerds, der die Träume seiner Zuschauer lebt. Aus großer Kraft folgt große Verantwortung, aber eben auch übermenschliche Kräfte, Heldentaten und Küsse im Regen. Blade und X-Men betonten die Kräfte als ein von Geburt an bestehendes Element, das seinen Träger im tiefsten Inneren am Einlass in eine stark normierte Gesellschaft hindert (Dhampir vs. Menschen und Vampire; Mutanten vs. Menschen). Spider-Man thematisiert hingegen weniger die Kraft als Bürde denn die Berufung zum Heldentum als zu meisternde Aufgabe. Spider-Man zu sein ist für einen gepiesackten Streber zunächst einmal ein Gaudi. Bis ein psychopathischer Millionär durch die Luft surft, versteht sich.

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