Alain Resnais - Das Leben ist ein Chanson

03.06.2012 - 07:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Alain Resnais am Set von Vorsicht Sehnsucht - Les herbes folles
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Alain Resnais am Set von Vorsicht Sehnsucht - Les herbes folles
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Im hohen Alter wird gern müde lächelnd zurückgeblickt auf die Erfolge jüngerer Tage. Alain Resnais dagegen stellte kürzlich seinen neuen Film in Cannes vor. Heute feiert einer der wegweisenden Regisseure des modernen Kinos seinen 90. Geburtstag.

You Ain’t Seen Nothin’ Yet lautet der programmatisch zu verstehende Titel seines neuen Spielfilms. Alain Resnais stellte das Werk über alternde Schauspieler, die in ihre früheren Rollen schlüpfen, vor wenigen Tagen beim Festival Cannes vor. Das Echo war, wie immer eigentlich, geteilt. Wie immer eigentlich stehen wir Zuschauer selbst vor der Herausforderung, den neuen Resnais zu entdecken, zu lieben oder enttäuscht zu werden. Es gibt bestimmt nicht wenige Filmfans, die dem gelernten Editor bereits nach der ersten Sichtung von Letztes Jahr in Marienbad eine Absage erteilten. Andere fühlten sich von dem maßlos in die Höhe gelobten Hiroshima mon amour vor den Kopf gestoßen. Es sind legitime Reaktionen auf die Werke eines Regisseurs, der wie nur wenige andere den Film und mit ihn seine Erzählweise in die Moderne katapultiert hat. Da ist eine Gratulation zum 90. Geburtstag nur angebracht.

Das mit der Moderne stammt natürlich nicht von mir. Über Alain Resnais wird seit rund sechzig Jahren geschrieben und gestritten. Berühmt geworden ist der Satz von Kollege Eric Rohmer: “Ich denke, in ein paar Jahren, in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren werden wir wissen, ob Hiroshima mon amour der wichtigste Film seit dem Krieg und der erste moderne Film der Tonfilmzeit ist.” (Criterion Collection) Alain Resnais, zwei Jahre jünger als Rohmer, zehn Jahre älter als François Truffaut, wurde häufig zur Nouvelle Vague gezählt. Immerhin erschien der Erstling Hiroshima mon amour im Jahr 1959, wie auch Sie küßten und sie schlugen ihn. Außer Atem folgte 1960. Dem voran ging allerdings ein Jahrzehnt, in dem Resnais Kurzfilme und Dokumentationen drehte, über berühmte Künstler, aber auch politische Themen. Sein knapp halbstündiger Kurzfilm Nacht und Nebel (1955) gilt als erstes Meisterwerk (bei YouTube). Ein Dokumentarfilm, der Archivmaterial aus den Vernichtungslagern der Nazis mit einem poetischen Kommentar unterlegt und aktuelle, geradezu idyllische Aufnahmen aus den Anlagen gegenschneidet.

Das Problem der Erinnerung, der Unabgeschlossenheit des vergangenen Grauens, das in die heile Gegenwart hineinragt, präsentiert sich schon in Nacht und Nebel derart prägnant, dass die nachträgliche Addition Resnais’ zu einer an sich schon höchst disparaten Strömung wenig Sinn macht. Wenn überhaupt, so haben insbesondere Resnais’ Filme aus den Fünfzigern und Sechzigern mehr mit einem Chris Marker (La Jetée – Am Rande des Rollfelds ) oder einer Agnès Varda (Mittwoch zwischen 5 und 7) gemein als den Speerspitzen der Nouvelle Vague. Aber warum überhaupt vergleichen? Schon in Hiroshima mon amour und Letztes Jahr in Marienbad zeigt sich die Signatur eines eigensinnigen Filmemachers, der trotz seiner Zusammenarbeit mit nicht weniger eigensinnigen Schriftstellern wie Marguerite Duras und Alain Robbe-Grillet mit starker formaler Hand seine Bilder dirigiert, nonlinear platziert, gleichzeitig in Frage stellt. (Nicht umsonst die immer wieder kommenden Vergleiche zu den Komponisten Schönberg und Stockhausen.) Erzählt uns die Schauspielerin, die nach Japan reist, nur eine Geschichte? Haben sich X, der Mann, und A, die Frau überhaupt jemals in Marienbad getroffen? Die Erinnerung wird in den Filmen von Alain Resnais in ihrem Scheitern zum Faszinosum, wenn Hirn und Geist an ihre Grenze geraten und die Lücken selbst auffüllen, wenn die Imagination ins Spiel kommt.

Muriel oder Die Zeit der Wiederkehr (1963) steckt voller Figuren, die von vergangenen Erlebnissen gequält werden. Im Science Fiction-Ausflug Je t’aime, je t’aime (1968) wird ein Suizidgefährdeter auf eine gefährliche Zeitreisemission geschickt. Sie läuft (natürlich) schief, weswegen er nun sein Leben in durcheinander gewürfelter Reihenfolge nochmal vor Augen hat. Eine entfremdende formale Strenge wurde diesen und anderen frühen Spielfilmen von Alain Resnais unterstellt. Er selbst meinte dazu: “Ich denke seit jeher, dass, wenn es eine präzise Form gibt, man die Emotionen des Zuschauers und das Interesse erreicht.” (Village Voice)

Wer die unterschwellige Ironie und Sympathie für seine von Makeln behafteten Figuren in diesen Filmen ob der strengen Bildkompositionen, virtuosen Montage und langen Kamerafahrten übersieht, sollte seinem farbenfrohen Spätwerk eine Chance geben. Da gibt es dann komödiantische Experimente wie Smoking/No Smoking (1993) zu sehen, in der seine Stammschauspielerin und Ehefrau Sabine Azéma gleich fünf verschiedene Figuren spielt. Oder Das Leben ist ein Chanson (1997), der ein schönes Double Feature mit Woody Allens Alle sagen: I Love You abgeben würde. Oder der quirlige Herzen mit seinem künstlichen Schnee in Mitten von Studiobauten. Oder Vorsicht Sehnsucht, einem der mit Abstand schönsten Filme des neuen Jahrtausends und wie immer bei Resnais durchkomponiert, perfekt, aber nie in der Corsage der Form erstickend.

Eigentlich genügt ja schon ein Blick auf den feurigen Rotschopf der Sabine Azéma, das spitze Lächeln des Kartengebers in Marienbad oder die Hände auf dem Rücken des Liebhabers in Hiroshima mon amour. Zum 90. Geburtstag jedenfalls wünsche ich Alain Resnais alles Gute und ein paar neue Comics auf dem Geschenkeberg.

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